Nike Wagner referierte in Bamberg über Wagner und Beethoven
Andreas Reuß
„Solange Kunde über Sein und Wirken eines Menschen überliefert wird, befehden sich Parteigänger und Feinde über ihre Auslegung … Wer soll dazu imstande sein, die Summe dieser Missverständnisse zu tilgen? Der kritische Verstand und seine Methoden? Sie werden selbst immer bedingt sein vom Gefühl des richtenden, wählenden Individuums und seiner Epoche.“
Weise Worte. Von Carl Jakob Burckhardt. Auch Richard Wagner hat nach wie vor Parteigänger und Feinde. In Bamberg sollen sich im 19. Jahrhundert Brahmsianer und Wagnerianer heftigst befehdet haben.
Auf nahezu geniale Weise hat neulich Nike Wagner in einem Bamberger Vortrag in die Fehden um ihren Vorfahren eingegriffen: Sie setzte bei Beethoven an. Da rannte sie in unserer Stadt freilich offene Türen ein – und das Publikum die Tore des VHS-Vortragssaals. War es doch unser E.T.A. Hoffmann, der mit seinen berühmten Beethoven-Rezensionen dessen Ruhm entscheidend förderte. Außerdem: Wenn ein Thema aus einer der bedeutendsten deutschen Familien, den Manns oder den Wagners, verhandelt wird, dann kommt „man“.
Was tat eigentlich der junge Richard, fragte sich Nike, um das Komponieren zu lernen? Er schrieb die Sinfonien Beethovens ab! Na gut, das Abschreiben kennen wir ja in Oberfranken recht gut. Im Fall Wagner kam etwas Grandioses dabei heraus (und in einem gewissen anderen Fall wird der „kritische Verstand“ möglicherweise dereinst auch noch einmal anders darüber denken, oder?).
Wagner schrieb ab, so wie sie in den mittelalterlichen Klöstern über Jahrhunderte abschrieben oder Spitzweg in der Pommersfeldener Galerie Gemälde kopierte. Wagner interpretierte, verwandelte, mischte neue Klangfarben bei und arbeitete schließlich ganz neue Gedankengebäude und Ideologien ein: unter anderem das Mythologische, das Aufklärerische und das Nationale.
Aber Nike Wagner blieb in ihrem Vortrag nicht beim Dokumentarischen stehen, wie leider viele Wissenschaftler heutzutage; sie analysierte und deutete Richard Wagners Schaffen, in dem übrigens das Bombastische keineswegs den Ton angibt.
Woher kam er denn nun, dieser „Blitz des Geistes“, der sein Epoche machendes Werk entstehen ließ? Alles kann man nicht erklären, sollte man meinen. Aber man kann es erahnen – wenn man dem kritischen Verstand dieser kreativen Seelenverwandten begegnet, die Sein und Wirken des großen Geistes mit dem Herzen weiterträgt. Wir gingen und wussten mehr über Wagners „Anteil an Freiheit“ (Burckhardt).